Auf den Spuren von Jean Cocteau
An der Côte d’Azur1920er Jahre. Die steinreichen Mäzene Charles und Marie-Laure de Noailles umgaben sich mit der Künstleravantgarde ihrer Zeit, die sie in ihrer Villa Noailles auf den Anhöhen von Hyères empfingen. Sie freundeten sich mit dem Dichter und Schriftsteller Jean Cocteau (1889-1963) an, der in den Pariser Boheme- und Literaturkreisen bereits bekannt war und dessen Zukunft sie als vielversprechend ansahen. 50 Jahre lang begleiteten die Noailles seine Karriere und unterstützen ihn finanziell. Sie waren auch Auftraggeber und Produzenten seines ersten Films Das Blut eines Dichters (1930), in dem sich der Dichter nach dem Sprung in einen Spiegel in einer skurrilen Welt wiederfindet.
Es geht weiter in östliche Richtung nach Fréjus. 1961 wandte sich der Vatikan höchstpersönlich an Jean Cocteau, da im Rahmen der Gestaltung des nördlichen Teils der Innenstadt eine Kapelle errichtet werden sollte. Der Künstler machte sich ans Werk, verstarb jedoch 1963 vor Abschluss der Arbeiten. Die Dekoration der Kapelle wurde deshalb vom Maler Edouard Dermit, Cocteaus Adoptivsohn, nach Cocteaus Skizzen vollendet. Die Themen der Passion und Auferstehung Christi wurden mit Kohle und Ölstift direkt auf den Zementwänden wiedergegeben. Dabei flossen auch persönliche Elemente mit ein: so sind im Letzten Abendmahl sein Geliebter Jean Marais und seine Freunde Coco Chanel und Max Jacob zu erkennen. Die Kapelle Notre-Dame-de-Jérusalem, die auf jeden Fall einen Besuch wert ist, besticht durch ihre farbenprächtigen, von azurblauen und blassgelben Tönen dominierten Wandmalereien.
1924 weilte Jean Cocteau zum ersten Mal im Welcome Hotel in Villefranche-sur-Mer mit Blick auf das Mittelmeer. Nach dem plötzlichen Tod seines Geliebten Raymond Radiguet war Villefranche für Cocteau ein Zufluchtsort, an dem er gegen seine Opiumsucht kämpfte. Er kehrte sehr oft dorthin zurück. 1925 schrieb Jean Cocteau an seine Mutter: „Liebe Mama, Villefranche mit seinen Booten, seinen Kanonenschüssen, seinen Hymnen und seiner Jazzmusik ist ein Wunderwerk. Dieses ausschweifende Leben überfordert mich, und ich sehe es mir brav von meinem Zimmer aus an, wie aus einer Opernloge.“ Im Welcome Hotel lernte er auch die Familie Bourgoint kennen, die ihn zu den Figuren seines Romans Die schrecklichen Kinder (1929) inspirierte. Das Hotel wird in seinem Werk immer wieder erwähnt, wie beispielsweise in seinem Essay Die Schwierigkeit, zu sein (1947). Gegenüber dem Hotel erinnert heute eine Bronzebüste des Künstlers an seine zahlreichen Aufenthalte. Villefranche-sur-Mer verdankt Cocteau ebenfalls die Malereien der Kapelle Saint-Pierre am Fuße der Altstadt. Dort können wir bei einem Besuch mit der ganzen Familie die Illustrationen aus dem Leben des Schutzpatrons der Fischer, des heiligen Petrus, entdecken.
Weiße Wände waren offensichtlich nicht nach Cocteaus Geschmack. 1950 wurde er von den Weisweillers in die Villa Santo Sospir ganz im Süden von Saint-Jean-Cap-Ferrat eingeladen. Das Ehepaar, das dort lediglich seinen Urlaub verbrachte, hatte sich keine Zeit genommen, sich um die Dekoration zu kümmern. Mit Zustimmung der Eigentümer zeichnete Jean Cocteau mit Kohle das Antlitz Apollons über den Kamin. 11 Jahre später waren Türen und Wände über und über mit Werken des Künstlers bedeckt. Wandmalereien, Mosaike und sogar ein Wandteppich zum Thema der griechischen Mythologie. Jeder Winkel der Villa Santo Sospir ist mit der Welt von Jean Cocteau erfüllt, der seine Werke auch Picasso, Chaplin und Marais vorstellte.
Die Villa Sospir ist derzeit wegen Restaurierungsarbeiten geschlossen. Sie kann normalerweise nach Vereinbarung besichtigt werden.
Kapellen, eine Villa am Meer – und jetzt ein Theater. Cocteaus Werk an der Côte d’Azur ist ganz und gar wie er selbst: überraschend. Anlässlich einer Aufführung begab er sich 1957 zum Centre méditerranéen d’études françaises, dessen Ziel es war, die deutsch-französischen kulturellen Beziehungen nach dem Krieg zu stärken. Er war von den Örtlichkeiten begeistert und schlug vor, ein Freilichttheater für die Sommeraufführungen zu entwerfen. Das 1962 fertiggestellte Werk ist ein von Aleppo-Kiefern umgebenes Amphitheater nach antikem Vorbild mit einem prächtigen Blick aufs Meer. Sein emailliertes Dekor ist der griechischen Mythologie entlehnt, die Cocteau so sehr am Herzen lag. Dieses außergewöhnliche Theater kann einmal im Jahr anlässlich der European Heritage Days besichtigt werden.
Nach dem zweiten Weltkrieg wurden in Menton die Biennale der Malerei und das Internationale Kammermusikfestival ins Leben gerufen, wodurch der Ort einen kulturellen Aufschwung erlebte. Jean Cocteau, der damals in der Villa Santo Sospir wohnte, war vom Charme der an Italien erinnernden Stadt fasziniert. Mehrere Sehenswürdigkeiten ehren heute Cocteaus kreativen Geist. In einem modernen Gebäude von Rudy Ricciotti stellt das Musée Jean Cocteau Sammlung Séverin Wunderman die bedeutendste öffentliche Sammlung seiner Werke aus (Das Museum ist allerdings derzeit wegen Bauarbeiten geschlossen). Um den kreativen Künstler noch eingehender zu würdigen, wurde in Menton ein weiteres Museum eingerichtet: das Jean-Cocteau-Museum Le Bastion! Es befindet sich nur wenige Meter vom ersten Museum entfernt und zeigt Werke aus der Zeit von 1950 bis 1963. Zu guter Letzt sehen wir uns noch den Trauungssaal der Stadt an, den der Künstler 1957 vollständig bemalte. In seinen Zeichnungen finden wir erneut das Thema der griechischen Mythologie (Orpheus und Eurydike) und lokale Inspirationen wieder, wie Die Liebenden von Menton. Sie sind mit bunten Arabesken mit den für seinen Stil charakteristischen Linien verziert. Überwältigend.