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Fünf Orte in Marseille: Auf den Spuren engagierter Frauen

Der 8. März bietet jedes Jahr die Gelegenheit, den Kampf um Frauenrechte stärker ins Licht zu rücken. Aber auch weit über diesen Tag hinaus engagieren sich Frauen täglich und seit Jahrhunderten für ihre Freiheit und die Freiheit anderer. In Marseille liegt der Schwerpunkt auf fünf Orten, die von Frauen und ihren mutigen, künstlerischen und auch kulinarischen Initiativen geprägt wurden.

 

Die Campagne Pastré: Lily Pastré und ihre bedrohten Künstler

Im 8. Arrondissement von Marseille, vor den Toren des Nationalparks Calanques und am Fuße des Massivs von Marseilleveyre, liegt ein weitläufiges Landgut: die Campagne Pastré. Hier befindet sich die Villa Provençale, in der die reiche Erbin, aber auch historisch dokumentierte und engagierte Mäzenin Lily Pastré wohnte. In den 1940er Jahren, als Frankreich größtenteils von Deutschland besetzt war und das Nazi-Regime ideologische Gegner verfolgte, beschloss Lily Pastré, ihre Villa zu einem Zufluchtsort für gefährdete Künstler und Intellektuelle zu machen. Sie begründete den Verein „Pour que l‘esprit vive“ und lud Persönlichkeiten wie Edith Piaf, Josephine Baker, André Masson, Rudolph Kundera und Darius Milhaud ein – aber auch Künstler jüdischer Herkunft wie Clara Haskil, Lily Laskin, Youra Guller und viele andere, die, als sich die deutsche Besatzung auf den Süden ausdehnte, immer stärker in Lebensgefahr schwebten Die Comtesse Pastré war für ihre Exzentrik bekannt und liebte es zu feiern. Am 27. Juli 1942 organisierte sie einen Abend, der in die Geschichte einging: Die Aufführung von Shakespeares „Ein Sommernachtstraum“ durch die von ihr geschützten (jüdischen) Künstler in Anwesenheit der deutschen Behörden. Heute ist der große Park der Campagne Pastré öffentlich zugänglich. Von dort aus erblickt man insbesondere das unübersehbare Landhaus von Lily Pastrés Ex-Mann: das Château Pastré. Erkunden Sie das Schloss bei einem erquickenden Spaziergang im Schatten der Bäume oder auf Ihrem Weg zu den Wanderungen ins Massif de Marseilleveyre.

Musée d’Histoire de Marseille: Ein Themenraum für Berty Albrecht

Sollte Ihr Weg Sie ins Musée d’Histoire de Marseille führen, können Sie dort einen ganzen Themenbereich entdecken, der einer der größten französischen Feministinnen und Widerstandskämpferinnen gewidmet ist: Berty Albrecht. Die gebürtige Marseillerin interessierte sich schon früh für die Stellung der Frau und wurde Mitglied der Internationalen Liga für Menschenrechte. Später gründete sie die Zeitschrift „Le Problème Sexuel“, mit der sie für das Recht der Frauen auf Abtreibung kämpfte. Ab dem Jahr 1936 engagierte sie sich auch im Arbeiterkampf und forderte bessere Arbeitsbedingungen für Frauen. Dann kam der Krieg. Als militante Gegnerin von Faschismus und Nationalsozialismus beschloss sie, in den Widerstand einzutreten und wurde Mitbegründerin von Combat, einer der wichtigsten französischen Widerstandsbewegungen. Als sie im Jahr 1942 im Gefängnis Saint-Joseph in Lyon inhaftiert wurde, setzte sie ihren Kampf durch einen Hungerstreik fort und konnte schließlich nach Marseille fliehen. Sie wurde jedoch verraten, im Jahr 1943 in Mâcon erneut verhaftet und kam in das Gefängnis in Fresnes, wo sie starb. Neben der Widerstandskämpferin Renée Lévy ist sie die einzige Frau, die in der Gedenkstätte Mémorial de la France Combattante am Mont Valérien beigesetzt wurde. Berty Albrecht gehört auch zu den sechs Frauen, die posthum mit dem Kreuz der Compagnons de la Libération ausgezeichnet wurden.

Boulevard des Dames: Wenn Frauen die Stadt verteidigen

Vom Quai de la Joliette bis zur Porte d‘Aix erstreckt sich der Boulevard des Dames, der im 16. Jahrhundert vom Mut und Engagement der Frauen in Marseille geprägt war. Im Jahr 1524 begannen die Armeen Karls V. unter der Führung des Connétable de Bourbon mit der Belagerung von Marseille. Um den Feind abzuwehren, unterstützte die Bevölkerung die Armee von Franz I. Dabei erwies sich die Beteiligung der Frauen als entscheidend. Geschichtliche Quellen berichten, dass mit ihrer Hilfe die Arbeiten an den Verteidigungsgräben und -wällen in nur drei Tagen abgeschlossen wurden. Drei Tage, in denen Frauen aus Volk und Adel ihre Kräfte bündelten. Die Anstrengung war so groß, dass die Mauer, die erbaut wurde, um den Feind am Vorrücken auf Marseille zu hindern, den Namen „Bastion des Dames“ erhielt. Zu Ehren dieses Frauenaufstands wurde die Kampfstrecke im Jahr 1805 in Boulevard des Dames umbenannt. An der Ecke zur Rue de la République befindet sich eine Gedenktafel. Sie kommen an ihr vorbei, wenn Sie vom Bahnhof Saint-Charles aus dem Boulevard des Dames in Richtung La Joliette folgen, um die Terrasses du Port auf der einen oder die Cathédrale de la Major auf der anderen Seite zu erreichen.

Vom Quartier du Panier zum Cours Ju: die Streetart-Künstlerin Manyoly

Zurück in die Gegenwart! Errichteten die Marseillerinnen im 16. Jahrhundert Mauern, um den Feind abzuwehren, so nutzen die Marseillerinnen von heute Mauern, um sich künstlerisch auszudrücken – so wie Manyoly. Die Street Artistin aus Südfrankreich schafft riesige, kraftvolle und farbenfrohe Frauenporträts, die sie an die Wände der Stadt klebt. Als eine der wenigen Frauen in einer männerdominierten Kunstszene lässt sich Manyoly von Frauen inspirieren, die ihr begegnen, und gibt ihnen mit ihrer Kunst wieder einen Platz im öffentlichen Raum. Wenn Sie genau hinschauen, können Sie ihre Blicke in den Straßen von Le Panier oder rund um den Cours Julien erhaschen Startpunkt ist die Ecke zwischen der Montée des Accoules und der Rue Sainte-Françoise, die Sie bis zur Kreuzung mit der Rue Fontaine du Caylus hinaufgehen können. Hier befindet sich ein 5 Meter hohes und 10 Meter breites Wandgemälde, das kaum zu übersehen sind. Weiter geht es zum Cours Julien, vorbei an 121 Cours Lieutaud, wo Sie bei geschlossenen Vorhängen ein Porträt von Manyoly in einer Schaufensterauslage bewundern können. Am Cours Julien angekommen, gehen Sie weiter in die Rue Pastoret, einem Hotspot der Marseiller Streetart. Sehen Sie sich um – werden Sie von einer bunten Frau beobachtet?

La Femme du Boucher: Laëtitia Visse, Starköchin und Freigeist

Laëtitia Visse hat schon immer leidenschaftlich gern gekocht – die berufliche Entscheidung fiel schnell. Nach ihrem Abschluss an der Gastronomie- und Hotelfachschule Ferrandi musste sie jedoch die Erfahrung machen, dass diese Welt äußerst sexistisch geprägt ist. Gemeinsam mit anderen weiblichen Chefs brach sie das Gesetz des Schweigens, indem sie über die verbale und physische Gewalt berichtete, der sie im Laufe verschiedener beruflicher Erfahrungen ausgesetzt war. Durch diese lautstarken und engagierten Äußerungen brachten Laëtitia Visse und ihre Mitstreiterinnen das Tabuthema Sexismus in die Welt der Gastronomie. Und sie trugen dazu bei, dass sich die Branche in Frage stellte – um den nächsten Generationen ähnliche Gewalt zu ersparen. Mit ihrem Umzug von Paris nach Marseille distanzierte sich Visse von einem Milieu, das sie anprangert, und fand nach und nach zu sich selbst und ihrer wahren Identität als Köchin zurück. Im Jahr 2020, mitten in der Corona-Krise, beschloss sie endgültig die Eröffnung eines eigenen Restaurants und übernahm eine alte Metzgerei in der Nähe des Place Castellane, die sie „La Femme du Boucher“ taufte. Hier kann sie sich endlich voll entfalten und ihrer Leidenschaft für Fleisch- und Wurstzubereitungen frönen. Und sie hat sogar ein Buch herausgegeben: „Les couilles (Umgangssprache für Hoden), dix façons de les préparer“ widmet sich der Zubereitung dieser verkannten Innereien. Fast könnte man meinen, dass das Buch den Sexismus der Männer vorführt, denen sie im Laufe ihrer Karriere begegnet ist …

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