Partie Cartes Musee Pagnol CchillioPartie Cartes Musee Pagnol Cchillio
©Partie Cartes Musee Pagnol Cchillio|Chillio.C

Marseille und das Kartenspiel, eine jahrhundertealte Tradition

Vom 18. Jahrhundert bis heute haben das Tarot de Marseille und Kartenspiele die Zeiten und Künstlergemeinschaften überdauert. Lernen Sie die klassischen Kartenspiele von Marseille kennen.

Du brichst mir das Herz!

Als Marcel Pagnol ein Kartenspiel zum Mythos machte

Man kann nicht über Marseille und Kartenspiele sprechen, ohne die berühmteste Manille-Partie Südfrankreichs zu erwähnen: die aus ˶Marius˝, dem ersten Film der ˶Marseille-Trilogie˝ von Marcel Pagnol. In dieser legendären Kartenpartie spielen die Figuren César, Escartefigue, Panisse und Monsieur Brun Manille in der Bar de la Marine. Während Escartefigue herauszufinden versucht, ob sein Gegner Panisse mit Herz trumpft, versucht sein Spielpartner César ihm gestikulierend klarzumachen, dass dies der Fall ist. Panisse beschuldigt daraufhin César, betrügen zu wollen. César gibt vor, beleidigt zu sein, und sagt zu Panisse den berühmt gewordenen Satz: ˶Du brichst mir das Herz!˝ Es gelingt ihm, Escartefigue die Botschaft zu übermitteln, aber Panisse merkt es und verlässt wütend und ausgiebig (provenzalisch) fluchend die Bar. Mogelei oder Geniestreich? Das entscheiden Sie! Die Bar de la Marine war ursprünglich eine fiktive Bar, die von Marcel Pagnol erfunden wurde. Heute gibt es am Alten Hafen von Marseille eine echte Bar de la Marine, die dem Film nachempfunden ist – und dazu einlädt, auf der Sonnenterrasse Karten zu spielen. Diesmal ohne zu schummeln …

Das Tarot de Marseille

Eine lokale Produktion

Die Ursprünge des Tarot de Marseille sind zahlreich und vieldiskutiert, aber es scheint, dass seine Geschichte eng mit dem Marseiller Maison Camoin verbunden ist, das damals in der Rue d’Aubagne ansässig war und das Spiel im 18. und 19. Jahrhundert herausgab. Das Tarot de Marseille verdankt seinen Namen also sicherlich der Tatsache, dass es zu dieser Zeit hauptsächlich in Marseille hergestellt wurde. Seit dem Jahr 1930 veröffentlicht der Verlag Grimaud auch seine Version des Ancien Tarot de Marseille, das traditionsgemäß aus 78 Karten besteht, darunter 56 kleine Arkana und 22 große Arkana. Zu den Figuren des Decks, die hauptsächlich religiös, royalistisch oder militärisch inspiriert sind, gehören unter anderem der Knecht, die Päpstin, der Kaiser und auch der Teufel. Diese Figuren und die Werte, mit denen sie verbunden sind, bestimmen das Lesen des Tarot de Marseille, das heute zu einer Referenz der zeitgenössischen Esoterik in der Kunst des Wahrsagens geworden ist. Und Sie? Trauen Sie sich, die Karten zu fragen, was das Leben für Sie bereithält …?

Das surrealistische Jeu de Marseille

Als André Breton und seine Freunde das Tarot neu erfanden

1940 flüchtete André Breton mit seiner Frau Jacqueline Lamba und ihrer Tochter Aube aus Paris, das von den Nazis besetzt war. Sie ließen sich in Marseille nieder, wo sie auf ein Visum für die USA warteten. Der amerikanische Journalist Varian Fry empfing sie in der Villa Air-Bel, die sich damals im Viertel La Pomme im 11. Arrondissement von Marseille befand. Die Villa trug den Spitznamen ˶Espervisa˝ und war Zufluchtsort für zahlreiche Künstler und Intellektuelle, die von den Nationalsozialisten verfolgt wurden und hofften, ein Visum für die Vereinigten Staaten zu erhalten. Glücklicherweise war André Breton in Marseille nicht allein. Er traf sich insbesondere mit anderen surrealistischen Künstlern wie Max Ernst, Victor Brauner, Jacques Herold und Wilfredo Lam im Café Brûleur de Loups, das sich am Alten Hafen befand. Da sie gerne spielten, beschlossen sie, das klassische Kartenspiel neu zu erfinden. Dabei ließen sie sich vom Marseiller Tarot inspirieren und übertrugen die Werte und Symbole der surrealistischen Bewegung. König und Königin wurden durch Genie und Meerjungfrau ersetzt, das Schwert wurde zur Flamme, die Münze zum Stern … und sogar die vier Farben, Kreuz, Pik, Herz und Karo wurden mit Liebe und Revolution für Rot und Traum und Wissen für Schwarz ausgetauscht. In den 2000er Jahren schenkte Aube Breton das Jeu de Marseille dem Musée Cantini.

Eine Neuinterpretation des Marseiller Kartenspiels

Freie Bahn für Künstler aus Marseille

Heute liegen die dunklen Jahre des Nationalsozialismus lange zurück, doch die Kartenspiele und das Tarot de Marseille werden von Künstlern aus Marseille immer wieder neu erfunden. Vor einigen Jahren schlug das Künstlerkollektiv l’Art Prend l’Air seine moderne Version des Tarot de Marseille vor, die sich vor allem am Jeu de Marseille der Surrealisten orientierte. In jüngerer Zeit hat der in Salon-de-Provence ansässige Illustrator Jérémy Rueda sein eigenes Tarot de Marseille entworfen, das von First Éditions veröffentlicht wird. In einem anderen Stil hat die Marseillerin Melissa von Bam Studio ein Tarot de Marseille in sonnig-bunten Farben entworfen, das im Selbstverlag erscheint und in Aix-en-Provence gedruckt wird. Eine feminine und engagierte Sichtweise vertritt auch Axelle Gay, ebenfalls aus Marseille, die den jungen Verlag L’Éclap und das Kartenspiel ˶Moi c’est Madame˝ gegründet hat und sich mit Geschlechterklischees auseinandersetzt. Bahn frei für den Nachwuchs!

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