Von Arles nach Valensole
Marseille
L’Isle-sur-la-Sorgue
Von Haut-Verdon nach Seillans
Wissen Sie, woher Denim-Jeans kommen? Oder besser gesagt, kennen Sie den Ursprung von „Gênes de Nîmes“? Das ist zunächst eher unverständlich – aber lesen Sie weiter … Im 16. Jahrhundert wurden in Nîmes die ersten Köperstoffe hergestellt, die den Grundstein für unsere heutigen Jeans legten. Das Wort „Denim“ bezieht sich somit auf dieses Gewebe „aus Nîmes“, während das Wort „Jeans“ die Stadt Genua („Gênes“) anklingen lässt, über die die Waren aus Nîmes in die USA transportiert wurden. Dort war es dann Levi Strauss, der mit unserem berühmten provenzalischen Stoff den Erfolg der ersten Denim-Jeans begründete. Heute führen die Ateliers de Nîmes dieses Know-how aus Nîmes mit umweltfreundlicher Denim-Herstellung fort, bei der u.a. eine traditionelle Webtechnik eingesetzt wird. Einige Kilometer östlich von Nîmes besteht ein anderes Kunsthandwerk fort: die Boutis-Quiltstoffe. Diese raffinierte Stickereitechnik, erkennbar an ihren Reliefmotiven, wurde im 18. und 19. Jahrhundert in der Provence zur Handwerkskunst erhoben. In Calvisson wird dieses Know-how vom Maison du Boutis im Rahmen eines Workshop-Museums weitergegeben. Hier kann man Boutis kennenlernen und sich in diese traditionelle Technik einführen lassen.
Die Provence hat nicht nur großes Textilwissen hervorgebracht, sondern ist auch die Heimat bekannter Modeschöpfer. Dazu gehören vor allem Christian Lacroix und Simon Porte Jacquemus. Ersterer wurde in Arles geboren und war von Ende der 1980er bis Anfang der 2000er Jahre äußerst erfolgreich. Er ist seiner Heimatstadt tief verbunden und ließ sich viel vom Lebensgefühl Südfrankreichs, seiner Geschichte, seinen Farben, seinen Traditionen und insbesondere den Trachten der Frauen von Arles inspirieren. Sie erinnert ihn an „ein Ideal der Weiblichkeit, ein Ideal, dem man hinterherjagt, eine Suche, eine ewige Suche“, was direkt an „Die Arlesierin“ des Schriftstellers Alphonse Daudet anknüpft. Simon Porte Jacquemus hingegen wurde in Salon-de-Provence geboren und verkörpert eine neue Generation großer Designer, die einen bewusst naiven und heiteren Modestil verkörpern. Auch Jacquemus ist sehr mit dem Süden und seinen provenzalischen Wurzeln verbunden und entwirft frische, sonnige und farbenfrohe Kollektionen. Um sie in Szene zu setzen, wählte er übrigens mehrfach Orte in Südfrankreich. Zuerst das Mucem in Marseille für seine Modenschau „Les Santons de Provence“, dann die Calanque von Sormiou für „Le Gadjo“, aber auch Valensole für „Le Coup de Soleil“, wo die Models inmitten von lila Lavendelfeldern defilierten. Erst kürzlich fand seine Modenschau „Le Papier“ statt – ebenfalls im Süden, inmitten der Salzberge von Salin-de-Giraud, in puristischem, unberührtem Ambiente. Man kann also davon ausgehen, dass die nächste Modenschau auch wieder in Südfrankreich stattfinden wird. Wo? Das steht noch offen.
Dass die Provence eine solche Fülle an textilem Know-how besitzt, ist zum Großteil auf ihre Nähe zum Meer zurückzuführen, über das in der Vergangenheit Waren und Stoffe transportiert wurden. Unsere dritte Etappe, der Hafen von Marseille, war ein „Hotspot“ für Importe aus Asien. So kamen ab dem 16. Jahrhundert bedruckte Baumwollstoffe mit kreativen bunten Mustern, die sogenannten „Indiennes“, nach Frankreich. Nach und nach eignete sich Marseille das nötige Fachwissen für die Indiennage an und spezialisierte sich auf die Produktion dieser Baumwollstoffe, die damals bei Adel und Bürgertum sehr begehrt waren. Doch um die großen traditionellen französischen Textilindustrien (Seide, Wolle und Leinen) zu schützen, verbot ein Urteil aus dem Jahr 1686 die Herstellung von Indiennes … bis zum Jahr 1759! In dieser Zeit erfuhr der Schmuggel von Indiennes in der Provence starken Aufwand. Dann änderte sich die Mode und Anfang des 20. Jahrhunderts gab es nur noch eine einzige Fabrik für provenzalische Indiennes: Souleiado in Tarascon. Heute existiert die Marke immer noch und lässt das Know-how weiterleben, indem sie wunderschöne provenzalische Stoffe herstellt. Wenn man mehr über Indiennes erfahren möchte, kann man von April bis Oktober das Musée Souleiado oder das Musée d’Art et d’Histoire in Orange besuchen. Neben Indiennes-Baumwollstoffen wurde im Hafen von Marseille auch Bleu de Chine importiert. Anfang des 20. Jahrhunderts entdeckten die Hafenarbeiter diese Arbeitskleidung, die für ihre Robustheit und Leichtigkeit bekannt war. Bleu de Chine wurde nicht nur zu ihrer Uniform, sondern auch zur Alltagskleidung. Heute ist die Bekleidung der Hafenarbeiter wieder im Trend und wird als zugleich schlichte und lässige Jacke getragen, die sich durch kräftige Farbtöne auszeichnet.
In dieser vierten Etappe lassen wir uns vom Wasser der Sorgue treiben und entdecken die Geschichte der Wollindustrie im Département Vaucluse – insbesondere in L‘Isle-sur-la-Sorgue. Schon im Mittelalter wurde die Antriebskraft der Sorgue durch zahlreiche Schaufelräder genutzt, die dem Betrieb verschiedener Maschinen dienten, z. B. in Seiden- und Wollspinnereien. Nach und nach wurde L‘Isle-sur-la-Sorgue durch die Entwicklung der „Paroirs“-Mühlen zum wichtigsten Zentrum der Wollindustrie in der Vaucluse. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts richtete die ManufakturBrun de Vian-Tiran eine eigene Paroir-Mühle am Ufer der Sorgue ein und wurde zu einer Referenz in der Herstellung von Wolltuch, Decken und Teppichen. 200 Jahre später besteht das Familienunternehmen immer noch und ist die letzte traditionelle Wollmanufaktur in Frankreich. Pierre Brun und sein Sohn Jean-Louis Brun sind sowohl Erben als auch Vordenker und erhalten das Know-how der Wollverarbeitung, indem sie die althergebrachten und traditionellen Handgriffe bewahren und sich gleichzeitig für die technischen Fortschritte moderner Maschinen interessieren. Um diese faszinierende lokale Familiensaga weiterzugeben, hat Brun de Vian-Tiran „La Filaventure“ gegründet, ein sensorisches Museum für edle Fasern, das in L‘Isle-sur-la-Sorgue zu besichtigen ist.
Zum Schluß geht es weiter in das Hochtal von Verdon. Denn auch hier ist Wolle Teil der Geschichte. Anfang des 19. Jahrhunderts wurden in diesem Tal rund zwanzig Wolltuchfabriken gebaut. Ursprünglich begann der Aufschwung der Wollproduktion in Saint-André-les-Alpes mit einem gewissen André Honnorat, der die erste Fabrik gründete. Später breitete sich der Betrieb auf den Haut Verdon und insbesondere auf Beauvezer aus. Es gab damals sechs Fabriken, doch diese Gemeinde war die aktivste von allen. Heute kann man die alten Tuchfabriken zwar nicht mehr besichtigen, sie lassen sich aber immer noch auf einer geführten Tour mit Schautafeln von Saint-André-les-Alpes aus entdecken. Zum Abschluss unserer Rundreise beginnen wir weiter südlich den Abstieg in die Gemeinde Seillans. Hier stand nicht Wolle, sondern Seide im Mittelpunkt. Die Ende des 19. Jahrhunderts gegründete Seidenraupenfabrik von Seillans, eine ehemalige Baumwollfabrik, verhalf der Gemeinde damals zu neuem Aufschwung, indem sie auf die Zucht und Ernte von Seidenraupen setzte. Im Jahr 1930 wurde die Seidenraupenfabrik jedoch endgültig geschlossen und das riesige Gebäude verfiel von Jahr zu Jahr mehr. Zum Glück konnte durch Hilfe des Gemeinderats ein Teil der Seidenraupenzucht in eine Mehrzweckhalle umgewandelt werden, während der andere Teil eine Hotelanlage umfasst. Das Gebäude wurde vollständig renoviert und erstrahlt nun in neuem Glanz. Authentische Strukturelemente wie der gewachste Beton oder freiliegende historische Balken konnten erhalten bleiben.