Vieux Port Marseille MdiducaVieux Port Marseille Mdiduca
©Vieux Port Marseille Mdiduca|Di Duca.M

Marseille: Auf Entdeckung der legendären Orte des Rap

Seit über 30 Jahren schwingt Marseille im Rhythmus der von mehreren Rappergenerationen geprägten Hip-Hop-Kultur. Ein Streifzug durch die Orte in Marseille, die diese Kult-Rapper seit jeher inspirieren.

Marseille und der Rap

Eine lange Liebesgeschichte

Marseille alias „m.a.r.s“ oder „Planet Mars“, die ikonische Stadt der Hip-Hop-Kultur … Alles begann in den 80er Jahren. Sehr schnell etablierte sich Marseille mit renommierten Namen wie IAM oder Fonky Family als eines der wichtigsten Zentren des französischen Rap. 4 Rappergenerationen haben seitdem diese Legende in Marseille lebendig gehalten. Zu den jüngeren Musikern gehören natürlich JUL – produktiver Künstler und größter Plattenverkäufer in der Geschichte des französischen Rap – Soso Maness oder SCH. Parallel dazu sind die „altmodischen“ Gruppen beliebter denn je. Ein Beweis dafür ist der von der Ankündigung des Wiedersehens der Fonky Family im Sommer 2024 im Jardin Sonore in Vitrolles ausgelöste Überschwang: innerhalb von 10 Tagen wurden sage und schreibe 7.000 Kurz zuvor, im April, fand im Cabaret aléatoire in der Friche Belle de Mai das erste Rap-Festival in Marseille statt: das Fonky Märzfestival (Fonky Festival de Mars). Auf dem Programm stehen sowohl aufstrebende Künstler – So La Zone, Relo – als auch Schwergewichte der Rapszene wie Puissance Nord, Le 3e Oeil oder Faf Larage.

Alter Hafen

Zurück ans Ende der 80er Jahre. Die für ihre besonders langen Burger bekannte Fast-Food-Kette Free Time eröffnete ein Restaurant am Alten Hafen. Unter seinen Kunden befanden sich auch ein paar Jungs, die vom amerikanischen Hip-Hop fasziniert waren und Goldketten, Baggys und Lederjacken trugen. Ihr Look blieb keineswegs unbemerkt. Ihr Pseudonym: IAM. Im Solosong „Les Miens“ erinnerte sich Shurik’n, der Sänger der Band, an jene Zeit: „Das Free Time ist unser Zuhause geworden / Zu jeder Jahreszeit. Auf den Stühlen klebten unsere Vornamen.“ Im Sommer 1994 hatte IAM mit „Je danse le Mia“ aus dem Album „Ombre Est Lumière“ durchschlagenden Erfolg. 3 Jahre später folgte ihr legendäres Album „L’école du micro d’argent“. Die Band war nicht die einzige, die sich im Free Time umtrieb: Rat Luciano, Sat l’Artificier, Don Choa, Menzo, Pone, Fel und DJ Djel von der Fonky Family, der anderen Vorzeigeband des ursprünglichen Marseiller Rap, waren nie allzu weit weg.

Belsunce und das Centre Bourse …

Wir schreiben das Jahr 2000. In jenem Jahr erschien „Belsunce Breakdown“ von Bouga, ein Song aus der Filmmusik von „Comme un aimant“, bei dem Akhenaton – ein weiteres Mitglied von IAM – ebenfalls Regie führte. Das Lied platzierte sich sofort unter die meistverkauften Singles und machte den Namen des zum ersten Stadtbezirk Marseilles gehörenden Viertels berühmt: „Belsunce, das Prunkstück der Stadtviertel von Marseille / Eingekeilt zwischen dem Bahnhof und dem Alten Hafen / Wir sind nicht am meisten zu bedauern.“ Das Musikvideo setzt 24 Stunden im Leben von Bouga im Stadtviertel Belsunce und in der direkten Umgebung in Szene: den Markt von Noailles, Le Panier, La Canebière, die Oper, die Porte d’Aix, das Centre Bourse (das in den 70er Jahren erbaute Einkaufszentrum von Belsunce) und am frühen Morgen schließlich die Kirche Notre-Dame-de-la-Garde. 5 Jahre zuvor hatte Akhenaton in seinem Song „La Face B“ bereits daran erinnert: „Die Treppen des Centre Bourse, das Viertel Belsunce, Les Carmes, Le Panier, dort hat alles begonnen …“

Bouga - Belsunce breakdown
Bouga - Belsunce breakdown
Bouga - Belsunce breakdown
Keny Arkana - De l'Opéra à la Plaine 2 feat. Le Secteur (Clip Officiel)
Keny Arkana - De l'Opéra à la Plaine 2 feat. Le Secteur (Clip Officiel)
Keny Arkana - De l'Opéra à la Plaine 2 feat. Le Secteur (Clip Officiel)

… Und der „Sektor Innenstadt“

Andere Songs besprechen die Innenstadt von Marseille und beziehen die Stadtviertel südlich der Canebière mit ein, wie La Plaine und den Cours Julien. Wir denken dabei insbesondere an die drei Teile von „De l’Opéra à la Plaine“, die auf drei Alben der Rapperin Keny Arkana erschienen sind. Sie versammeln eine Handvoll Künstler aus Marseille wie Stone Black, Makiavel und Hollis l’infâme: „Marseille Innenstadt / alle antworten anwesend auf den Aufruf / Panier, Opéra, Noailles, Cours Julien, La Plaine / gerüstet mit Mic, Sektor Innenstadt / hör wie die Zone zu dir spricht / alle Gassen meiner Stadt“. Als Persönlichkeit des Cours Julien hat Keny Arkana im Übrigen dort ein Graffiti mit ihrem Konterfei, dessen Foto auf dem Cover ihres Albums „Avant l’exode“ (Vor dem Auszug) zu sehen ist. Zu ihren kompromisslosen Texten gehört das immer wiederkehrende Thema der Gentrifizierung der Stadt, wie im Song „Capitale de la rupture“ (Hauptstadt des Bruchs), der 2012 auf dem Album „Tout tourne autour du soleil“ (Alles dreht sich um die Sonne) erschien. Die Verbindungen zwischen der Hip-Hop-Kultur und den Stadtvierteln Le Panier, Noailles, Cours Julien und La Plaine offenbaren sich außerdem bei den „Promenades sonores“ (Klangspaziergänge) von Radio Grenouille, denen wir mit unserem Kopfhörer folgen können.

Die nördlichen Stadtviertel

Wenn Sie auf dem Fernwanderweg GR13 unterwegs sind, der 346 Kilometer weit durch das Departement führt, kommen Sie durch diese Stadtviertel, auch wenn sie nicht sehr touristisch wirken. Denn nach der ersten Marseiller Rappergeneration aus der Innenstadt kam der Nachwuchs aus den nördlichen Stadtvierteln. Grund dafür ist unter anderem ein Drama. Am 21. Februar 1995 wurde der 17-jährige Amateur-Rapper Ibrahim Ali aus La Savine (15. Bezirk) von drei Plakateklebern des Front National durch einen Schuss in den Rücken getötet. Um ihn zu ehren, gründeten seine Freunde die Sound Musical School, ein Studio für aufstrebende MCs. Unter ihnen bildeten Soprano, Alonzo, Vincenzo und DY Sya Styles die „Psy4 de la rime“, bevor Soprano als Solokünstler auftrat. In den letzten Jahren prägte Soso Maness aus Font-Vert (14. Bezirk) die Rap-Szene von Marseille. Nachdem er 2015 wegen Drogenhandel verhaftet wurde, spricht er in seinen Songs über seine Dealervergangenheit: „Und im Ghetto bei Nacht / sind alle Kunden grau / Doch alles zu seinem Preis, aus der Tasche habe ich aussortiert“.

Soso Maness - So Maness (Clip officiel)
Soso Maness - So Maness (Clip officiel)
Soso Maness - So Maness (Clip officiel)
HOLLIS L’INFÂME - Corniche kennedy (clip officiel)
HOLLIS L’INFÂME - Corniche kennedy (clip officiel)
HOLLIS L’INFÂME - Corniche kennedy (clip officiel)

Die Corniche Kennedy

Die Corniche Kennedy, eine Terrasse über dem Meer, die den Plage des Catalans mit dem Plage du Prado verbindet, hat auch den Rap made in Marseille inspiriert. Im Sommer 2022 ertönte in Marseille und überall in Frankreich der von Hollis l’infâme stammende Song „Corniche Kennedy“: „Beverly, dreieinhalb, Zickzackkurs auf der Corniche Kennedy“. Das Video zeigt uns sehr schöne Ansichten dieser symbolträchtigen sonnigen Straße und einige Szenen von Sprüngen ins Meer (Achtung, im wirklichen Leben ist das verboten!) und von Fahrten mit einem Tmax-Motorroller (der unangefochtene Star des Rap aus Marseille). Vor Hollis l’infâme hatten sich bereits andere die Corniche als Kulisse ausgesucht: Psy4 de la rime drehte hier 2008 das Musikvideo für „Les Cités d’or“ und Le 3e Oeil das Video „Vue sur la Mer“.

Das Vélodrome-Stadion

Mehr als anderswo sind in Marseille die Bindungen zwischen Fußball und Hip-Hop-Kultur einfach untrennbar. Und Fußball heißt hier der Olympique de Marseille (OM). Wenn die Spieler zum Aufwärmen auf den Platz kommen, ertönt im Orange-Vélodrome-Stadion der Song „Belsunce Breakdown“. Die Show geht weiter mit dem symbolträchtigen Titel „Bad boys de Marseille“, dem Soundtrack des Films, der die Stadt und die Spieler vorstellt. Das 1996 erschienene Stück mit IAM und Fonky Family hat sich insbesondere durch den von Karima gesungenen Refrain in das Gedächtnis der Nation eingeprägt: „Schlappes Gemüt, geboren unter der Sonne / Du erkennst daran den Stil der Bad Boys / Jeden von Gott geschaffenen Tag um 3 Uhr bin ich immer noch müde / Du erkennst daran den Stil der Bad Boys …“Soprano, ein absoluter Fan des OM, war der erste Rapper, der im Stadion ein Musikvideo drehen durfte, das Video zu „Halla Halla“. Der erste, jedoch nicht der einzige. 2024 eröffnete OM ein City-Stadion mit dem Bildnis von JUL am Fuße der Guten Mutter. Vier Jahre zuvor hatte das 13 Organisé, ein Kollektiv aus führenden Rappern aus Marseille (Soso Maness, SCH, Akhenaton, Kofs…) unter der Leitung von JUL (schon wieder er), in den Umkleideräumen und auf dem Rasen des Orange-Vélodrome-Stadions die ersten Szenen des Songs „En bande organisée“, dessen Refrain mit der berühmten Punchline „Das ist nicht die Hauptstadt / das ist Baby Marseille“ in ganz Frankreich einschließlich Paris Kultstatus erlangte.

Weitere Infos:

m.a.r.s. Histoires et légendes du hip-hop marseillais, Julien Valnet, Ed. Wildproject

L’Odyssée martienne, voyage visuel dans le mouvement hip-hop de la cité phocéenne, Jean-Pierre Maero, auto-édition

Schließen